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Was bedeutet eigentlich die Amtsgewährungspflicht?

Amtsgewährungspflicht

Die Amtsgewährungspflicht ist ein zentrales Prinzip im deutschen Verwaltungs- und
Verfahrensrecht. Sie verpflichtet Gerichte, Behörden, Notare, Rechtsanwälte und andere öffentlich bestellte Amtsträger – wie etwa öffentlich bestellte Vermessungsingenieure – dazu, bei Vorliegen bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen ihre amtliche Tätigkeit nicht zu verweigern. Das Ziel dieser Pflicht ist es, Rechtssuchenden den Zugang zum Recht zu ermöglichen und sicherzustellen, dass notwendige Erklärungen, Beglaubigungen oder Anträge rechtssicher und kostengünstig abgegeben werden können.

Gesetzliche Grundlagen der Amtsgewährungspflicht
Die Verpflichtung zur Amtsgewährung ergibt sich aus verschiedenen Gesetzen, je nach
Funktionsträger:

  • Gerichte / Behörden
  • § 9 VwVfG – Pflicht zur Unparteilichkeit
  • § 10 VwVfG – Pflicht zur Amtsermittlung (Untersuchungsgrundsatz)
  • § 139 ZPO – Aufklärungs- und Hinweispflichten des Gerichts
  • § 14 SGB I – Beratungspflicht der Sozialleistungsträger
  • Art. 20 Abs. 3 GG – Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht
  • Notare
  • § 14 BNotO – Pflicht zur Amtsausübung bei gesetzlicher Verpflichtung
  • § 19 BNotO – Haftung für Verletzung der Amtspflicht
  • Rechtsanwälte
  • § 43 BRAO – Allgemeine Berufspflichten
  • § 43a BRAO – Pflicht zur Verschwiegenheit, Unabhängigkeit und zur gewissenhaften
    Berufsausübung

Beispiele aus der Praxis: Wer darf (oder muss) helfen – und was kostet es?

Vorgang Gericht / Behörde Notar / Anwalt
Beglaubigung von
Dokumenten
Bürgeramt oder
Amtsgericht – geringe
Gebühr (5–10 €)
Notar – höhere Gebühr
nach GNotKG, z.B. bei
Unterschriftsbeglaubigung
Ausschlagung einer
Erbschaft
Amtsgericht – zur
Niederschrift, ca. 30 €
Notar – Beurkundung
nach GNotKG,
zusätzliche Kosten
Verlust Kfz-Brief –
eidesstattliche
Versicherung
Zulassungsstelle –
Aufnahme der
Erklärung, moderate
Verwaltungsgebühr
Notar – eidesstattliche
Versicherung
kostenpflichtig
Kirchenaustritt

Standesamt oder
Amtsgericht –
Verwaltungsgebühr
(5–60 €)

Notar – Beglaubigung
der Austrittserklärung
möglich, zusätzlich zu
amtlicher Gebühr fallen
Notarkosten an
Grundbucheinsicht Grundbuchamt –
10–20 € Gebühr
Notar – kann separat
Grundbuchauszug
einholen, zusätzlich zur
Amtsgebühr fällt eine
Notargebühr nach
GNotKG an
Vorsorgevollmacht /
Patientenverfügung
Gemeinde oder
Pflegestützpunkt –
kostenfreie
Informationen & Muster
Notar / Anwalt –
rechtssichere
Gestaltung und
Beratung,
gebührenpflichtig

Das Problem in der Praxis: Amtsgewährung wird oft umgangen

In der Realität erleben viele Bürger, dass Behörden oder Gerichte ihre Pflicht zur Amtsgewährung nicht aktiv wahrnehmen oder durch lange Wartezeiten ausbremsen. Bei Anfragen für einfache Rechtsgeschäfte – etwa die Erbschaftsausschlagung oder die Beglaubigung einer Unterschrift – werden teils erst Wochen später Termine angeboten. Der Zeitdruck führt dann dazu, dass der Bürger einen Notar aufsucht, obwohl dies gesetzlich nicht zwingend notwendig wäre.

Das Problem: Die gleiche Amtshandlung, die beim Gericht oder der Behörde für 10–30Euro zu
haben wäre, verursacht beim Notar Kosten nach der Gebührenordnung, also teils das Drei- bis
Fünffache oder mehr.

Ein Beispiel:
Ein Bürger möchte kurzfristig eine Erbschaft ausschlagen, doch das Amtsgericht hat erst in drei Wochen einen Termin. Beim Notar geht es sofort – aber es kostet 80–120Euro.

So wird die gesetzliche Amtsgewährungspflicht faktisch umgangen, obwohl das Gericht zur
Entgegennahme der Erklärung verpflichtet wäre. Das führt zu unnötigen Kosten für den Bürger, der eigentlich Anspruch auf eine preisgünstige amtliche Unterstützung hat.


Fazit: Erst Amtsgewährung – dann Notar
Die Amtsgewährungspflicht ist ein Schutzrecht für den Rechtsuchenden – und sollte auch so
genutzt werden. Jeder Bürger hat das Recht, behördliche oder gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, bevor kostenpflichtige Alternativen gewählt werden. In vielen Fällen ist keine notarielle oder anwaltliche Unterstützung nötig, wenn Behörden oder Gerichte rechtzeitig und
gesetzeskonform handeln.

Wann ist ein Notar zwingend erforderlich?
Trotzdem gibt es auch Situationen, in denen der Gesetzgeber zwingend die Einschaltung eines Notars vorschreibt, etwa:

  • Kaufverträge über Grundstücke (§ 311b BGB)
  • Schenkungen von Immobilien
  • Gründung einer GmbH oder UG (§ 2 GmbHG)
  • Übertragung von GmbH-Anteilen (§ 15 GmbHG)
  • Abschluss eines Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments mit öffentlicher Beurkundung

Hier ist der Notar nicht nur zulässig, sondern gesetzlich erforderlich, um die Rechtswirksamkeit der Erklärungen sicherzustellen und die Beteiligten umfassend zu belehren.

Tipp zum Schluss: Wer ein Anliegen hat, das mit einer amtlichen Erklärung, Beglaubigung oder Antragsabgabe verbunden ist, sollte zuerst bei der zuständigen Behörde oder dem Gericht vorstellig werden. Nur wenn dort keine rechtzeitige Erledigung möglich ist, kann sich der Gang zum Notar lohnen – dann aber bewusst und unter Abwägung von Zeit- und Kostenfaktor.

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